Die drei verlockenden Süßwaren der Börsenbranche
Das eigentliche Problem für einen Börsenanfänger besteht nicht darin, dass er erst einmal einen Haufen Dinge über Börse lernen muss. Die große Herausforderung ist stattdessen, dass er zu Beginn vieles vergessen sollte, was er bisher über Börse gehört hat. Es ist ganz ähnlich wie bei der Ernährung. Wer bei der Börse zu viele süß schmeckende Ansichten konsumiert, der bildet sich “ungesund”.
Bedenke, dass die Börsenbranche um Deine Aufmerksamkeit und Dein Geld kämpft. Wohl kaum ein Börsenanfänger ist nicht vorher schon oft über Fernsehen, Radio, Internet, Zeitungen und Zeitschriften mit dem Thema Börse in Berührung gekommen. Das wäre an sich ja kein Problem. Aber da die genannten Medien selbst Geld verdienen wollen, brauchen sie Aufmerksamkeit. Und Aufmerksamkeit bekommt man nun einmal dadurch, wenn man besondere und leider oft falsche Hoffnung auf das große Geld verbreitet. Geld, das idealerweise schon in kurzer Zeit für Reichtum sorgt, mit wenig Aufwand und mit vermeintlich geringen Risiken.
Alternativ versucht die Börsenbranche auch mit Schüren von Ängsten und Panik die Aufmerksamkeit zu bekommen. Es gibt eine Reihe von Crashpropheten, die Geld verdienen, indem sie große Untergangsszenarien in Vorträgen und Interviews ständig verbreiten. Der vermeintliche besondere Vorteil durch Vorsorge und Absicherung gegen den hochwahrscheinlichen Katastrophenfall ist hier die süße Botschaft.
Drittens gibt es in der Börsenbranche noch ein Lager, das nicht mit dem schnellen großen Geld lockt und auch nicht mit der besonderen Sicherheit im kurz bevorstehenden Katastrophenfall. Dort wird stattdessen mit der Botschaft geworben, die simpelste Lösung, einfach nur den anderen Marktteilnehmern passiv zu folgen, wäre für alle die beste Lösung. Eine einfache langfristig idiotensichere Lösung für alle Geldanlageprobleme schmeckt eben auch verlockend süß.
Wir begegnen also immer wieder den folgenden 3 verlockenden Botschaften in unterschiedlicher Ausprägung:
- Ich kann dir sagen, wie Du das schnelle (große, sichere, leichte) Geld bei der Börse bekommst.
- Ich kann Dir sagen, wie Du Dein Geld vor der nahenden Katastrophe schützt oder sogar davon profitierst.
- Ich kann dir versichern, dass du einfach nur passiv dem Markt folgen musst, um wissenschaftlich gesehen nichts falsch zu machen.
Diese drei unterschiedlichen “süßen” Botschaften ziehen natürlich jeweils viele Menschen an. Zwar werden sie fast nie explizit so formuliert und sie treten auch mit unterschiedlich starken Relativierungen auf. Aber die Message, die beim potentiellen Marktteilnehmer ankommt bzw. tendenziell ankommen soll, läuft oft genug auf einen dieser drei Punkte hinaus.
In gewisser Weise sind diese Botschaften “schädlich fürs Gehirn”. Denn das hat in heutiger Zeit eben auch die Aufgabe, das Geld zusammen zu halten und fürs Alter vorzusorgen. Und dafür braucht es nun einmal einen klaren Verstand und “gesunde” realistische Ansichten. Diese drei Botschaften verfehlen aber meist die Realität. Es gibt bei der Börse kein Gewinnwissen, keine absolute Garantie und keine absolute Sicherheit. Selbst wenn nur über Wahrscheinlichkeiten geredet wird, kann man auch darüber nur spekulieren bzw. Modelle entwickeln. Immer hängt der eigene Erfolg von dem Verhalten der anderen ab. Das kann aber niemand kontrollieren und darüber kann jeder nur spekulieren. Insbesondere, weil Veränderungen nie ausgeschlossen werden können.
Realismus ist nun aber leider auch nicht oft gefragt, weil er nicht besonders süß schmeckt. Was nicht gefragt ist, wird auch nicht so oft geboten. Selbst dann, wenn es sinnvoll wäre. Es ist eher ein sich überbieten an Illusionen und Vereinfachungen zu beobachten, die zu schnellen Handels- und Konsumentscheidungen stimulieren sollen.
Ich will damit nicht sagen, dass alles falsch sei, was man über Börse so zu hören bekommt. Es ist aber vieles verzerrt und zu einseitig dargestellt, um es wohlschmeckender zu machen.
- Insbesondere wird aus der reinen Möglichkeit nicht selten ein vermeintlich sicheres Eintreten suggeriert.
- Positive Ergebnisse werden hervorgehoben, negative Ergebnisse verdrängt.
- Man bekommt jede Menge Behauptungen über Erfolge, die mangelhaft oder gar nicht nachgewiesen werden oder bei denen die wahren Ursachen unklar bleiben.
- Besonders häufig sieht man auch den argumentativ unzulässigen Versuch, mit Statistiken der Vergangenheit sichere Aussagen über zukünftige Wahrscheinlichkeiten aufzustellen.
Und das erzeugt dann eben doch oft falsche Vorstellungen und Erwartungen. Die können schädlich fürs eigene Kapital sein. Da liegt das Problem.
Wer “Börse lernen” will, der sollte skeptisch bei allem sein, was er über Börse hört, sieht oder liest. Logischerweise solltest Du dann auch skeptisch mir gegenüber sein. Das ist ok. Skepsis ist bei Börsen- und Geldthemen sehr wichtig. Hinterfrage auch Deine eigenen Ansichten immer wieder einmal.
Wie soll man aber realistische von unrealistischen Ansichten unterscheiden? Dazu dann im nächsten Blogbeitrag mehr.
So, das war mein erster Blogbeitrag. Wer Fragen hat, kann gerne auch die Kommentarfunktion nutzen oder schreibt eine Email an office@erlernen.net.
Schöner Beitrag, finde es aber etwas problematisch den wissenschaftlich passiven Investmentansatz auf die gleiche Stufe mit jenen zustellen, die schnelles Geld versprechen oder Absicherungsstrategien als Crashpropheten verkaufen. Gerade der wissenschaftliche Ansatz ist doch der skeptisch realistische Ansatz den du gutheißt.
Grundsätzlich sehe ich das passive Folgen des Marktes als eine gute Strategie an. Jedoch ist sie nicht etwas, was aus wissenschaftlichen Gründen zu EMPFEHLEN wäre, denn sie ist nicht zwingend eine gute Strategie. Man kann sich leicht überlegen, was passieren würde, wenn immer mehr Marktteilnehmer dieser “Empfehlung” folgen. Es gäbe keine Selektion mehr zwischen gewinnbringenden Unternehmen und Verlustunternehmen. Börse hat aber die wirtschaftliche Funktion, dass Gelder von Investoren gute Unternehmen stützen und schlechte Unternehmen verdrängen. Die Performance der Indizes würde zusammenbrechen, wenn zu wenige sich aktiv mit Aktienauswahl beschäftigen. Die Wirtschaft würde an Leistung verlieren.
Wenn man in wissenschaftlichen Studien gefunden hat, dass in der Vergangenheit die meisten aktiven Fonds schlechter als das passive Investieren abschnitten, heißt es eben nicht, dass damit wissenschaftlich bewiesen wäre, dass das passive Investieren besser sei und somit wissenschaftlich zu empfehlen sei.
Man kann auch mit einer wissenschaftlichen Studie zeigen, dass die Tabakbranche in dem letzten Jahrhundert besonders gut gelaufen ist. Trotzdem ist dadurch diese Branche keine wissenschaftliche Empfehlung. Die Wissenschaft kann bei der Börse nichts empfehlen. Denn bei einem freien Tauschprozess gibt es keine stabile optimale Strategie.
Wie gesagt halte ich die passive Strategie für sehr gut. Aber sie ist nicht der heilige Gral, den viele unterstellen, die diesen Ansatz vertreten. Es ist letztlich eine spekulative Strategie wie andere auch. Und wie jede Strategie hat sie das Problem, spätestens dann nicht mehr zu funktionieren, wenn zu viele Marktteilnehmer davon überzeugt sind.