Warum finanzielle Freiheit nicht leicht zu erreichen ist
Finanziell frei zu sein ist wohl einer der ganz großen Wünsche vieler Menschen. Nicht nur im Zusammenhang mit Börse begegnen wir dem Thema. Egal, ob es um Immobilien, berufliche Karriere, Unternehmertum, Selbstmanagement oder “Erfolg” ganz allgemein geht: Die entsprechenden Gurus werben immer wieder mit vermeintlich “erlernbaren” Wegen in die finanzielle Freiheit.
Nicht selten verspricht man uns die finanzielle Freiheit in den berühmten 5 bis 10 Jahren, wenn man nur “hart genug” dafür arbeitet. Auch wenn ein so kurzer Zeitraum im Einzelfall natürlich denkbar ist, ist das für die überwiegende Mehrheit leider nicht machbar, wie wir sehen werden. Aber stellen wir erst einmal mit einer Definition fest, was finanziell frei eigentlich bedeuten soll:
Definition finanzielle Freiheit (FF) erster und zweiter Stufe
Ich unterscheide zwei Stufen finanzieller Freiheit. In der ersten Stufe kann man die Grundbedürfnisse des menschlichen Lebens abdecken, ohne dafür arbeiten zu müssen. Zu den Grundbedürfnissen gehören Nahrung, Kleidung, Wohnung, medizinische Versorgung, eine gewisse Mobilität und soziale Aktivität. Alles aber auf minimalem luxusfreien Level.
Der Faktor Zeit muss auch berücksichtigt werden, denn sonst wäre praktisch jeder Mensch jeden Tag ein paar Stunden finanziell frei. Wir reden daher von FF, wenn zu erwarten ist, dass die Person bis zu ihrem Lebensende lückenlos die Freiheit hat, nicht für ihre Grundbedürfnisse arbeiten zu müssen.
Im Zustand der FF kann man aus verschiedenen Gründen sein. Eine entsprechende Rente kann die FF ermöglichen. Ebenso können ausreichend hohe Kapitalerträge in Form von Dividenden, Zinsen oder Mieteinnahmen die FF ermöglichen. Auch könnte der Lebensunterhalt allein durch das Aufzehren von Ersparnissen, einem Erbe oder einem Lottogewinn finanziert werden.
Man kann sich da vieles vorstellen. Eine zu wage Vermutung, dass man später genügend Geld haben könnte, reicht aber nicht aus. Finanziell frei ist nur derjenige, der hinreichend sicher rechtfertigen kann, dass er ab heute für den Rest seines Lebens ohne Arbeit notwendige Produkte und Dienstleistungen konsumieren kann.
Das entscheidende Kriterium für die FF ist die echte freie Wahlmöglichkeit, ggf. nie mehr zu arbeiten. Auch ein Mensch, der arbeitet, kann daher nach dieser Definition finanziell frei sein. Er muss jedoch die freie Wahl haben, dauerhaft nicht mehr für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten.
Die zweite Stufe der FF hat noch strengere Anforderungen. Bei ihr geht es nicht nur um die Grundbedürfnisse sondern auch um die vollständigen Bedürfnisse der Person, die hinreichend sind, damit die Person mit ihrem Lebensstandard zufrieden ist.
Wem die Abdeckung der Grundbedürfnisse reicht, um zufrieden zu sein, für den gibt es keinen Unterschied zwischen FF erster und zweiter Stufe. Viele Menschen würden aber erst bei der zweiten Stufe von “echter” FF sprechen.
In diesem Artikel soll es im folgenden “nur” um die FF erster Stufe gehen. Denn wenn die schon schwierig zu erreichen ist, dann ist es die FF zweiter Stufe erst recht.
Bei der FF geht es im Kern gar nicht ums Geld
Nach obiger Definition können wir eine erste interessante Feststellung machen: Bei der FF geht es primär um Grundbedürfnisse fürs Leben und die Befreiung vom Zwang zur Arbeit, aber NICHT ums Geld.
Wir vergessen nämlich nur allzu oft, dass Geld nur Papier oder Metall ist, das nur als Tauschmittel dient. Kein Mensch braucht als biologisches Wesen wirklich das Geld. Auch nicht in Form von Bits und Bytes. Es ist bestenfalls nur Mittel zum Zweck.
Damit kann man auch leicht verstehen, dass nicht alle Menschen finanziell frei wären, wenn man ihnen jeweils 1 Mio Euro oder 1 Milliarde Euro schenken würde. Denn die notwendige Arbeit, die erforderlich ist, damit die Milliarden Menschen überleben können, ist unabhängig von der vorhandenen Geldmenge.
Die Arbeit müsste immer noch getan werden, egal ob nun jeder Millionär oder Milliardär ist oder nicht. Geld befreit die Menschheit nicht vom Zwang zur Arbeit. Daher wird die Menschheit auch nie durch Geld finanziell frei.
Wenn jeder Milliardär wäre, müsste trotzdem jemand den Müll aus den Städten bringen und die öffentlichen Toiletten reinigen. Irgendwer muss die Nahrung und Kleidung produzieren. Irgendwer muss die medizinische Versorgung bereit stellen. Irgendwer muss die Wohnungen renovieren.
Damit sind dann auch die vielen Ratgeber und Ausbildungen widerlegt, die behaupten, jeder könne finanziell frei sein, wenn er nur hart genug arbeitet, das richtige Mindset hat, sich an irgendwelche Regeln hält usw. Die notwendige Arbeit für die Grundbedürfnisse verschwindet dadurch leider nicht. Grundgesetze der Physik erzwingen, dass zur Erhaltung des Lebens Arbeit erforderlich ist. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ist der eigentliche Grund dafür.
Jeder kann tatsächlich finanziell frei sein, aber …
Wenn wirklich jeder finanziell frei sein soll, dann muss eine Situation vorherrschen, bei der jeder Mensch bis zum Rest seines Lebens nicht mehr für seine Grundbedürfnisse arbeiten muss. Die Frage ist also, ob es solche Situationen geben kann und wie sie aussehen.
Ich fange mal mit ein paar bizarren Situationen an, die aber sachlich korrekt Szenarien beschreiben, in denen jeder Mensch finanziell frei wäre:
- Die Menschheit steht kurz vor einer Naturkatastrophe, bei der alle Menschen sterben werden. Für den kleinen Rest des Lebens braucht dann niemand mehr arbeiten und alle wären somit finanziell frei.
- Die Menschheit nimmt Kontakt zu Außerirdischen auf und versklavt bzw. dressiert sie. Sämtliche Arbeit, die zur Abdeckung der Grundbedürfnisse aller Menschen hinreichend ist, wird fortan von den Außerirdischen erledigt.
- Wir züchten intelligente Tiere, die uns unsere Arbeit abnehmen.
Nun aber zu einem Szenario, das trotz aller ungelöster Probleme vielleicht irgendwann sogar realistisch wird: Wenn es gelingt, Maschinen bzw. Roboter zu bauen, die uns in allen Belangen ebenbürtig oder überlegen sind, dann könnte der Zwang zur Arbeit für jeden Menschen endlich ein Ende finden. Betrachtet man die Geschichte des technischen Fortschritts, dann erkennt man, dass wir diesen Weg offensichtlich suchen und auch gehen.
Die Theorie erklärt die Praxis, die jeder kennt
Wir haben gesehen, dass die “finanzielle Freiheit für alle” noch weit außer Reichweite liegt. Alles wird dabei vom technischen Fortschritt abhängen. Wenn sich nichts findet, das uns die Arbeit abnehmen kann, die fürs Überleben notwendig ist, dann werden auch niemals alle Menschen finanziell frei sein, egal was sie tun.
Wir wissen aber, dass einige Menschen durchaus finanziell frei sind. Für das Individuum besteht also eine Möglichkeit. Der Grund ist einfach: Wenn jemand nicht für seine Grundbedürfnisse arbeitet, müssen es eben andere übernehmen. Es geht offensichtlich nur mit einem Ungleichgewicht bei der Arbeitsteilung. Die finanziell freien Menschen können es nur deshalb sein, weil sie die Möglichkeit haben, andere für sich arbeiten lassen.
Inwieweit das möglich ist, hängt von der Produktivität der arbeitenden Bevölkerung ab, was wiederum auch mit dem technischen Fortschritt in Zusammenhang steht. Es hängt aber auch davon ab, inwieweit die arbeitende Bevölkerung duldet, dass sie für die Leute arbeitet, die die Wahl haben, nicht zu arbeiten.
Für das Individuum kann Geld eine “Gegenleistung” für Arbeit sein. Für die Gruppe als Ganzes sind Papierscheine oder Münzen aber nutzlos. Die Gruppe als Ganzes hat niemanden, der Geld als Tauschmittel für Produkte und Dienstleistungen akzeptiert.
Wenn zu viele finanziell vermögende Leute sich aus der Arbeitsteilung ausklinken, ist die Kapazität der Wirtschaft, um allen das Überleben zu sichern, am Limit. Es werden dann Spannungen auftreten, die sich auch mal entladen können, indem die obere Schicht enteignet wird.
Da nun aber der Wunsch, frei vom Zwang zur Arbeit zu sein, quasi in den Genen des Menschen steckt, sind die begrenzten möglichen Plätze “dort oben” mehrheitlich natürlich vergeben. Es tun sich natürlich immer mal wieder Lücken auf. Aber man sollte nicht erwarten, dass ein freier Platz der begehrten finanziellen Freiheit lange Zeit unerkannt und ungenutzt bleibt.
Vielleicht klingt das für einige Leser jetzt sehr theoretisch. Aber jeder kann die “Gegenkräfte” erleben, die sich auf dem Weg zur FF gegen einen richten.
- Es fängt in der Schule an. Wer dort besonders gut abschneidet, hat im Arbeitsleben Vorteile, schneller die FF zu erreichen. Warst Du Klassenbester? Warst Du Jahrgangsbester im Abi? Wenn nicht, dann weißt Du jetzt, warum es schwierig sein muss, sowas zu werden. Es kann nicht für alle leicht sein, denn sonst könnten ja alle leicht zur FF kommen, was aber oben widerlegt wurde.
- Weiteres Beispiel: Bist Du einer der 80% aller Unternehmer, die nach 3 Jahren aufgeben müssen? Wenn ja, dann kennst Du jetzt den Grund. Es mag vielleicht auch was mit Dir zu tun haben. Aber lass Dir nicht einreden, jeder könne erfolgreich sein oder Millionär werden. Es muss immer darauf hinaus laufen, dass viele beim Versuch, finanziell frei zu werden, auf für sie unüberwindbare Schwierigkeiten stoßen. Denn es können bei heutiger Technologie prinzipiell nicht alle finanziell frei sein, wie oben bewiesen wurde.
- Versuch Dein monatliches Einkommen zu steigern. Du wirst schnell merken, dass Probleme entstehen. Im Gegensatz zu dem, was viele Gurus Dir erzählen, damit Du ihnen für die schöne Motivation Geld gibst: Viele Menschen müssen da auf Probleme stoßen, die sie nicht lösen können und die auch kein anderer für sie löst. Denn sonst hätten wir wieder die ” FF für alle”, die oben widerlegt wurde.
Bis jetzt habe ich das Thema FF bewusst unabhängig von der Börse beschrieben. Denn es geht bei FF um das allgemeine Problem, dass Arbeit getan werden muss und prinzipiell nur einige sich da rauswinden können. Börse ändert daran auch nichts. Dennoch kann man sich überlegen, was denn erforderlich ist, um an der Börse zur FF zu kommen. Dazu im nächsten Blogbeitrag mehr.